STATEMENT

Hamburg, Juni 2023

Solidarisches Wohnen in der FS115 erhalten!
Sozial nachhaltigen Hochwasserschutz umsetzen!

Statement der Bewohner*innen der Fährstraße 115 zum bevorstehenden Gerichtstermin am 19.07.2023

Die Fährstraße 115 existiert bereits seit dem Jahr 2007 als linkes Hausprojekt in Wilhelmsburg. Es ist nicht nur ein Wohnhaus, das seinen Bewohner*innen ein solidarisches und bezahlbares Zusammenleben ermöglicht. Vielmehr ist unser Haus zentraler Bestandteil des soziokulturellen Netzwerks im Reiherstiegviertel und darüber hinaus. Es ist für uns selbstverständlich, unsere Türen regelmäßig für soziale und kulturelle Aktivitäten sowie für weitere Nutzungen durch Einzelpersonen und Gruppen aus dem Viertel zu öffnen.

Solidarisches Wohnprojekt in die Zukunft gedacht

Im Jahr 2020 wollten wir diese über Jahre gewachsene Institution langfristig sichern und das Gebäude gemeinsam mit dem Mietshäuser Syndikat (MHS) kaufen. Als bundesweiter Zusammenschluss aus über 180 Wohn- und Werkstattprojekten kollektiviert das MHS Gebäude, schützt so vor Immobilienspekulation und trägt damit langfristig zur Sicherung von bezahlbarem Wohnraum bei.

Unsere Vision ist es, die Fährstraße 115 als solidarisches Wohnprojekt sowie offenen, soziokulturellen Raum in Form eines MHS-Projekts langfristig zu erhalten. Dies wurde durch den Versuch der Stadt Hamburg, ein Vorkaufsrecht geltend zu machen, zunächst verhindert. Damit ist nicht nur bezahlbarer Wohnraum, sondern auch ein zentraler Bestandteil des soziokulturellen Netzwerks in Wilhelmsburg und darüber hinaus akut bedroht.

Stadt Hamburg verhindert Mietshäuser Syndikats Projekt

Im Februar 2020 war die mehrjährige und arbeitsintensive Vorbereitungszeit für den Hauskauf endlich abgeschlossen und wir konnten den Kauf- und Kreditvertrag für das Haus unterzeichnen. Im März 2020 hat die Stadt Hamburg uns jedoch überraschend mitgeteilt, dass – nicht wir sondern – sie unser Haus kaufen will, um es für eine anstehende Deicherhöhung so schnell wie möglich abzureißen. Gegen den Gebrauch eines vermeintlichen Vorkaufsrechts haben wir Widerspruch eingelegt und, nachdem dieser abgewiesen wurde, im August 2020 eine Klage eingereicht. Nach 3 Jahren Wartezeit wird diese nun am 19.07.2023 vor dem Verwaltungsgericht Hamburg verhandelt.

Abriss trotz Alternativen?

Der Hamburger Landesbetrieb für Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) behauptet, dass auf dem Areal des Grundstücks der Fährstraße 115 ein sogenannter Deichschutzstreifen notwendig wäre. Konkret soll ein Großteil der Hausfläche einer Wiese und der Verlegung der Straße weichen. Entgegen der Argumentation der Stadt Hamburg und des LSBG ist ein Abriss des Hauses aber nicht notwendig, um einen angemessenen Hochwasserschutz für das Viertel zu gewährleisten. Es gibt zahlreiche alternative Möglichkeiten des Hochwasserschutzes und es ist darüber hinaus fragwürdig, ob die von der Stadt anvisierte Erhöhung des Erddeiches überhaupt zukunftsfähig ist. Im Falle unseres Hauses wurden alternative Deichbaukonstruktionen, die bei städtischen Planungsprojekten andernorts regelmäßig umgesetzt werden, nicht einmal ernsthaft geprüft.

Dabei wurden beispielsweise bereits 2011 im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Pläne und Konzepte für den Stadtteil Wilhelmsburg zur Deicherhöhung vorgestellt, die konkrete Ideen aufzeigten, wie der Deichschutz mit dem Fortbestand unseres Wohnhauses sowie der anderen Häuser in Einklang gebracht werden kann (IBA-Machbarkeitsstudie, Seite 120-125).

Stadt Hamburg: politisches Versagen unter dem Deckmantel des Hochwasserschutzes

Die Stadt Hamburg behauptet, dass ein Abriss unseres Hauses unabdingbar ist – obwohl es Alternativen gibt. Dabei liegen bis heute, kurz vor dem Gerichtstermin, keine konkreten Pläne zum Ausbau des Deichabschnitts vor. Seitens der zuständigen Behörden fehlt es vollkommen an Transparenz und Informationen, was notwendige und geplante Maßnahmen betrifft.

Anstatt ihrer politischen Verantwortung gerecht zu werden und eine längst überfällige nachhaltige und progressive Stadtplanung umzusetzen, die soziale und kulturelle Aspekte mit Hochwasserschutz vereint, wird ein Kauf auf Vorrat angestrebt. Vor Gericht soll nun darüber entschieden werden, ob die Stadt ein Vorkaufsrecht an dieser Stelle ausüben darf.

Das ist eine Farce, denn: Letztendlich handelt es sich bei der Frage, wo welche Art des Hochwasserschutzes umgesetzt wird, nicht um eine technische Notwendigkeit, sondern eine politische Entscheidung. Es ist falsch, Hochwasserschutz und den Erhalt von Wohnraum und soziokulturellen Räumen gegeneinander auszuspielen. Eine zukunftsfähige Hochwasserschutzplanung muss immer auch sozial und ökologisch nachhaltig sein.

Wohnraum erhalten, Hochwasserschutz sozialverträglich umsetzen!

Wir fordern daher die Stadt Hamburg auf, sinnvolle und sozial nachhaltige Hochwasserschutzpläne für den betreffenden Deichabschnitt vorzulegen, bei denen gewährleistet wird, dass unser Haus erhalten bleibt. Weiterhin fordern wir die Erstattung aller Kosten, die uns durch den Kaufversuch der Stadt Hamburg entstanden sind. Wir fordern die Stadt auf ihre unkonstruktive Stadtteil- und Hochwasserschutzpolitik aufzugeben, damit wir die Fährstraße 115 endlich als Mietshäuser Syndikats Projekt langfristig für das Viertel und unsere Hausgemeinschaft erhalten können!

115 bleibt – kein Abriss unter dieser Nummer!